Schatten in der Dunkelheit

Ein kühler Luftzug bewegte den schweren Samtvorhang zur Asservatenkammer der archäologischen Akademie und ließ einen schmalen Lichtkegel hineinwerfen, der sich scheinbar zielgerichtet auf den hüfthohen Marmorsockel inmitten des Raumes zubewegte und schließlich den darauf platzierten Glaszylinder erleuchtete. Das Glas war fast vollständig mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt, in der sich eine kreisrunde silberne Scheibe fortwährend um ihre eigene Achse drehte. In der Bewegung war zu erkennen, dass ihre Oberseite mit einer eingravierten Sphäre verziert war, die ein Himmelsgewölbe mit Sternen und Planeten abbildete. Die Unterseite hingegen war völlig glatt und schien jegliches Licht zu schlucken. Auf der Oberseite des Sockels waren neun magische Schutzrunen um das Glas herum angeordnet, die hellblau leuchteten. Ein zusätzliches Kraftfeld schützte das Artefakt vor dem Zugriff Unbefugter. Doch schien es fast, dass weniger das Artefakt vor Diebstahl als vielmehr die Außenwelt vor ihm beschützt werden sollte.
Der Raum selbst war nur schwach erleuchtet und abgesehen von dem Sockel völlig leer. Er befand sich im Keller der archäologischen Akademie in Silbermond und wurde Tag und Nacht bewacht.

Plötzlich war ein leises Knistern zu hören, das Kraftfeld flackerte kurz und erlosch. Als nächstes leuchteten die Schutzrunen hell auf und begannen dann zu pulsieren. Die Scheibe verlangsamte ihre Rotation bis sie waagerecht zum Stillstand kam.
Sekunden später stürmte die Wache der Akademie, welche durch den magischen Schutzmechanismus allarmiert worden war, in den Raum gefolgt von Doranir.
"Halt!", schrie Doranir bevor die beiden Wachen den Bannkreis des Kraftfeldes betraten. Die Blutritter sahen sich irritiert an und dann fragend zu Doranir. Sie hatten einen Eindringling erwartet und ihre Schwerter gezogen, doch der Raum war nach wie vor leer.
Doranir schritt langsam auf das Kraftfeld zu, das in seiner Wahrnehmung schwach aber deutlich leuchtete. Er holte etwas arkanen Staub aus einem kleinen Beutel an seinem Gürtel und pustete ihn gegen die Barriere, die mit einem elektrischen Knistern reagierte und den Staub in Rauch auflöste. "Das Kraftfeld ist nicht mehr unter unserer Kontrolle," stellte er trocken fest.
Die Wachen blieben ratlos stehen und starrten auf den Sockel. Die Schutzrunen hatten sich ins violette verfärbt und warfen einen dunklen Schatten auf die silberne Scheibe im Inneren des Glaszylinders. Doranir kniff die Augen zusammen, um etwas zu erkennen.
Plötzlich ging von der Scheibe ein dumpfer Impuls aus und die Flüssigkeit im Zylinder schlug kleine Wellen, die gegen das Glas brandeten und eine Druckwelle auslösten, die sich im Raum fortsetzte, hundertfach an Energie gewann und schließlich die Wachen erfasste und sie gegen die Wand schleuderte. Bewußtlos blieben die Blutritter am Boden liegen, während Doranir reflexartig ein Schild beschwor und durch den Rückstoß über den Boden schlitterte. Etwas benommen stützte er sich mit den Ellenbogen auf und hielt seinen Kopf.
Das letzte was Doranir vernahm bevor die Dunkelheit ihn übermannte war ein tiefes, leises Flüstern. "Ihr Herz ist ein Krater und wir haben es gefüllt."